Quantifizierungsansatz auf einem Bierdeckel
Ich bin verwirrt.
In der Finanzbranche hört man ständig die Begriffe ESG, nachhaltiges Investieren, verantwortungsvoller Kapitalismus. Fragt man genauer nach was dahinter steckt, merkt man, dass die Implementierung des Themenkomplexes noch nicht ganz ausgereift ist.
Es gibt einige Rating-Agenturen und Indexierungsdienstleister, die erste Ansätze der Systematisierung und Quantifizierung von Nachhaltigkeit entwickelt haben. In meiner Wahrnehmung ist zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht klar, welcher Standard sich durchsetzen wird. Daher befinden sich viele Fondsmanager noch in abwartender Haltung, bevor sie sich für ein bestimmtes Rating, Zertifikat oder Implementierungsansatz entscheiden. Das ist rational.
Um meiner eigenen Verwirrung Abhilfe zu leisten, und ein grobes Gefühl für mögliche Auswirkungen der Nachhaltigkeitswelle zu entwickeln, mache ich ab und zu simple Rechenübungen.
Man ziehe beispielsweise die CO2-Bilanz von Unternehmen heran. Die aktuell aus meiner Sicht wichtigsten, da vom Unternehmen steuerbar, sind die Scope 1- und Scope 2-Emissionen. Wikipedia erklärt:
- Scope 1-Emissionen stammen aus Emissionsquellen innerhalb der betrachteten Systemgrenzen, etwa unternehmenseigenen Kraftwerken oder Fahrzeugflotten.
- Scope 2-Emissionen entstehen bei der Erzeugung von Energie, die von außerhalb bezogen wird, dies sind vor allem Strom und Wärme aus Energiedienstleistungen
- Scope 3-Emissionen sind sämtliche übrigen Emissionen, die durch die Unternehmenstätigkeit verursacht werden, aber nicht unter der Kontrolle des Unternehmens stehen, zum Beispiel bei Zulieferern, Dienstleistern oder Mitarbeitern
Das Thema CO2-Fußabdruck wird von der EU und vielen anderen Regierungen auf der Welt schon seit geraumer Zeit angegangen. Seit 2005 gibt es in der EU den Emissionsrechtehandel. Der Preis für eine Tonne CO2 liegt aktuell um die €25. Der Emissionshandels beabsichtigt, die negativen Externalitäten des CO2 Ausstoßes zu internalisieren. Es soll also nicht die Zivilgesellschaft, in Form einer zerstörten Ozon-Schicht, für die negativen Externalitäten „schmutziger“ Produktionsprozesse bezahlen, sondern das verursachende Unternehmen selbst.
Wohlgemerkt, die €25 pro Tonne CO2 sind der aktuelle Marktpreis für ein Emissionszertifikat. Ein paar Minuten googlen offenbart, dass Schätzungen zu den externen Kosten einer Tonne CO2 sehr breit gestreut sind und €25 nicht unbedingt der Mittelwert sind. Die Obama-Regierung hatte 2013 nach einer großangelegten Studie $37 als „social cost of carbon“ (SCC) bestimmt. Zu damaligen Wechselkursen waren das knapp €30.
Ein wissenschaftliches Paper aus dem Februar 2019 hat eine Meta-Analyse zu SCC Schätzungen durchgeführt und herausgefunden, dass der Mittelwert bei $112 (ca. €100) liegt.
Was passiert im Extremfall, wenn die SCC vollständig in ein Geschäftsmodell eingepreist werden müssten? Wie würde sich der Wert von Unternehmen verändern, wenn man statt €25 pro Tonne CO2 plötzlich €100 bezahlen müsste?
Das Handelsblatt hat im Juli 2019 für einen Artikel über die CO2-Bilanz von DAX-Unternehmen ein paar „Fußabdrücke“ zusammengetragen. Wir berechnen die zusätzliche Kostenbelastung auf den operativen Gewinn der Unternehmen unter der Annahme voll internalisierter SCC. Damit erhalten wir ein „adjustiertes EBIT“. Daraus lässt sich dann ein neuer Firmenwert (Enterprise Value) berechnen, der uns wiederum eine adjustierte Marktkapitalisierung liefert. Wir kommen zu extremen Ergebnissen. (EBIT und Marktkapitalisierung in EUR Mio.). Marktkapitalisierung und Enterprise Value sind vom 31. März 2019.
Es zeigt sich, dass eine Kombination aus hoher Verschuldung und hohem CO2 Abdruck fatal sein kann. Das Eigenkapital von HeidelbergCement, RWE und Lufthansa wäre wertlos und die deutschen Chemieriesen hätten auch nicht mehr so viel Spaß.
Das heißt nicht, dass man panisch sein Portfolio auf Nachhaltigkeit drehen sollte. Es heißt aber schon, dass man die Nachhaltigkeitswelle nicht belächeln sollte. Es könnte dem Geldbeutel weh tun.
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