Wir beschäftigen uns heute mit dem britischen Weinhändler Majestic Wine plc („Majestic“).
Die von euch, die uns schon länger folgen wissen, dass wir keine Fans von stationärem Einzelhandel sind (Hi Gerry!). Majestic ist vor allem durch seine Weinläden bekannt. Die Firma verfügt über etwas mehr als 200 Standorte in England (wir kennzeichnen den stationären Bereich Majestic Retail mit dem Kürzel „MR“). Am ehesten sind diese mit der deutschen Kette Jacques‘ Weindepot zu vergleichen. MR ist der führende spezialisierte Weinhändler in England. Dabei handelt es sich um eher nach Weinlager anmutende Standorte in B-Lagen für Kunden, die alle 3 Monate mit dem SUV zum Geschäft fahren, um sich dort den Kofferraum mit Weinkisten zu befüllen. Zum Glück gibt es aber mehr zu entdecken. Majestic besteht im Wesentlichen aus zwei völlig unterschiedlichen Geschäftsbereichen.[1] Neben den stationären Geschäften verfügt Majestic noch über den Bereich „Naked Wines“ („NW“). NW wurde 2015 von Majestic für GBP70m übernommen. Ein sehr wichtiges Asset, welches damit in die Gruppe kam, war der Gründer und CEO von NW, Rowan Gormley, der heute als Gruppen CEO fungiert – zu ihm später mehr. NW betreibt einen innovativen Online Weinclub, welcher die Weinbranche revolutioniert, in dem er die ineffizienten Strukturen des globalen Weingeschäfts mit seinen zahlreichen Zwischenhändlern und indirekten Bestellprozessen aushebelt und Konsumenten direkt mit Winzern verknüpft. Die Übernahme von NW ist also ein echtes Beispiel für: „if you can’t beat them – join them”.
Majestic Retail
MR operiert im äußerst wettbewerbsintensiven Weineinzelhandel. Das Geschäftsmodell wird von verschiedenen Wettbewerbern unter Druck gesetzt. MR verkauft im günstigen bis mittleren Preissegment. Im Mittel sind die Kunden also keine high-end Weinexperten, sondern Menschen, die guten Wein wertschätzen und dafür einen vernünftigen Preis bezahlen möchten. Unter den Wettbewerbern sind damit die immer aggressiver und hochwertiger in den Markt drängenden Supermärkte und Discounter. Wer wie wir regelmäßig bei ALDI einkauft, merkt wie die Weinabteilung seit Jahren stetige Upgrades erhält und man längst mehr als nur „Kopfschmerzen in Tetrapaks“ kaufen kann. Die Discounter stehen selbst gegenseitig in hartem Wettbewerb und suchen immer nach neuen Möglichkeiten, ihre Geschäfte hochwertiger erscheinen zu lassen. Auch wenn die Kundengruppe nicht perfekt kongruent ist, gibt es doch einige unangenehme Überschneidungen für MR. Darüber hinaus macht die Digitalisierung auch vor Wein keinen Halt. Die Anzahl an Online Weinshops hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Gerade für Kunden, die kistenweise einkaufen, bietet die Lieferung nach Hause hohen Comfort. Auch wenn das alles furchtbar klingt, sind wir in diesem Kundensegment noch relativ früh im Zyklus der kreativen Zerstörung. Noch stagniert MR umsatzseitig und sollte laut Management im Jahr 2019 knapp GBP20m EBITDA generieren.
Naked Wines
NW wurde 2008 von Rowan Gormley gegründet. Rowan ist Serienunternehmer und hat unter anderem schon Virgin Wines und Virgin Money aufgebaut.
NW ist heute in den USA, UK und Australien aktiv, wobei sich die USA aufgrund ihres hohen Preisniveaus als profitabelster Markt mit dem größten Volumen etablieren sollte.
Auf der Homepage www.nakedwines.com kann man sich als sogenannter „Angel“ registrieren. Als Angel zahlt man monatlich mindestens GBP20 auf sein Kundenkonto ein und kann dieses Guthaben für Weine von meist recht kleinen Winzern ausgeben. Durch die Registrierung als Angel erhält man erhebliche Rabatte auf die Weine, der ca. 120 Weingüter auf der NW Plattform. Diese produzieren teilweise eine nur sehr geringe Anzahl an Flaschen pro Jahr. Damit schafft NW sowohl auf der Konsumenten- als auch auf der Produzentenseite Mehrwerte. Die Schwierigkeit, mit der kleine Weingüter umgehen müssen, ist die schlechte Planbarkeit. Ein Besuch in Düsseldorf auf einer der wichtigsten globalen Weinmessen („ProWein“) macht das Problem recht schnell greifbar. Wer sich mit einem kleinen Winzer aus Uruguay unterhält, erfährt, dass der Mann einmal im Jahr nach Deutschland fliegt, um auf der Messe Importeure zu treffen und diese zu überzeugen seinen Wein zu bestellen. Die Messe ist jedes Jahr im März. Der Wein, der auf der Messe verkostet wird, wurde aus Trauben hergestellt, die viele Monate, teilweise Jahre vorher geerntet wurden. Der Winzer aus Uruguay muss also sein Capex und Working Capital völlig „ins Blaue hinein“ planen. Da dreht sich Finanzmenschen wie uns der Magen um. NW schafft Mehrwert, in dem die Plattform Kunden schon viel früher im Produktionsprozess mit Winzern verknüpft. Angel können über die Website direkt mit Winzern interagieren. NW sammelt Gelder und Bestellungen ein und kann damit Planungssicherheit für Winzer herstellen. Darüber hinaus können Winzer direktes Kundenfeedback einsammeln und sind damit näher am Markt als je zuvor.
Die Vorteile für Kunden liegen auf der Hand. Durch das Aushebeln der Mittelsmänner können kleine unbekannte Weine zu günstigeren Preisen erworben werden. Die Möglichkeit zur direkten Interaktion mit Winzern gibt Kunden außerdem noch Material für eine schöne Geschichte zum Wein an die Hand, die man seinen Freunden stolz beim Verkosten erzählen kann. NW ist damit also nicht nur ökonomisch, sondern auch psychologisch elegant.
Da NW noch nicht sehr lange existiert, ist die Profitabilität noch von Wachstumsinvestitionen verschleiert, die sich in operativen Kosten verbergen. Dieses Profil kennt man von vielen Online Geschäftsmodellen wie Zalando, Takeaway.com oder Hellofresh. Das Umsatzwachstum wird durch aggressive Rabattaktionen befeuert. Wer bspw. in New York wohnt, hat ziemlich oft Hellofresh Gutscheine im Briefkasten… Wenn man Rowan Gormley im Gespräch genau zuhört, merkt man aber schnell, dass der Mann nicht auf diese Schrotflintentaktik setzt. Seine Markteroberungsstrategie ist durchzogen von vielen kleinen A-B Tests. Er sagte uns, dass im Schnitt zwischen 15-20 Experimenten mit relativ kleinen Investitionsbeträgen laufen. Dabei werden die nicht erfolgreichen Ansätze radikal gestrichen und die funktionierenden Ansätze mit mehr Kapital weiterverfolgt. Das erinnert ein wenig an Jeff Bezos.
Diese Taktik führt aber auch dazu, dass NW nicht die 20-30% Wachstumsraten von den eben aufgeführten Online Geschäftsmodellen ausweisen kann, sondern ein wesentlich gemäßigteres Wachstum von 10-15%[2] liefert. NW trifft aber die richtigen, werthaltigen Kunden (mit hohem Customer Lifetime Value „CLV“) und hat weniger Abwanderung („Churn“) von Neukunden. Damit baut NW jedes Jahr werthaltige Kundenkohorten auf, die jedes Jahr neue Umsätze bringen. Der folgende Graph erklärt die Situation recht einfach:
Im Jahr 2018 wurden GBP14m in die Neukundengewinnung bei NW investiert. Im Jahr 2019 werden es GBP20m sein, die das operative Ergebnis belasten, aber nachhaltig Wert generieren.
Bisher stellte sich die Gruppe in unbereinigten Zahlen wie folgt dar.[3]
Wie Wert geschaffen wird
Wir können nicht genau sagen, ob es einkalkuliert war, oder ein sehr glücklicher Zufall, aber mit der Übernahme von NW hatte man sich ein digital-affines und dynamisches Management-Team einverleibt, welches die Gefahren für den traditionellen Weineinzelhandel sehr genau kennt.
Rowan weiß, dass etwas mit MR geschehen muss, damit kein Wert für die Aktionäre vernichtet wird (er selbst hält knapp 6% an der Firma, bezieht ein kleines Gehalt und lehnt regelmäßig Gehaltserhöhungen ab).
Am 25. März 2019[4] veröffentlicht Majestic daher eine etwas kryptisch anmutende Pressemitteilung, in der man sich zu strategischen Neuüberlegungen zu MR bekennt. Entweder man versucht Kapital aus den Geschäften zu „befreien“ oder man versucht, solange MR noch Cashflow abwirft, so viele Kunden wie möglich in die digitale Welt zu konvertieren. Im Gespräch erläuterte Rowan, dass es sich für ihn um eine recht emotionslose Entscheidung handelt, welche auf „NPV“ (Net present value) Basis getroffen wird – er hängt nicht an den Ladengeschäften. Falls er aber die Möglichkeit sieht langfristig mehr Shareholder Value aus der Konvertierung von MR in NW Kunden zu generieren, dann zieht man den Erhalt der Geschäfte einem Komplett-Verkauf vor.
Was ist das alles Wert
Majestic als Gruppe wird heute mit einem Enterprise Value von ca. GBP210m und einer Marktkapitalisierung von GBP190m bewertet.
Das Management teilte uns mit, dass MR 2019 ca. GBP20m EBITDA generieren sollte. Wenn man sich die M&A Landschaft anschaut, wird man auf einen EBITDA multiple von ca. 5-6x kommen. Es gibt immer noch viele Private Equity Käufer, die sich an Retailgeschäfte rantrauen und daher eine gewisse Zahlungsbereitschaft aufweisen. Man könnte also konservativ mit einem Verkaufserlös von GBP80-90m rechnen. SkyNews[5] berichtete vor wenigen Tagen, dass sich bereits zwei Private Equity Gesellschaften, OpCapita und Fortress, in Stellung bringen. Es steht ersten Gerüchten zufolge eine Bewertung von GBP100m im Raum.
Die Große Kunst liegt in der Bewertung von NW. Die Firma wurde 2015 (in einem wesentlich geringeren Bewertungsumfeld) für GBP70m erworben. Das Geschäft hat sich seitdem mehr als verdoppelt (bei Übernahme ca.GBP80m Umsatz) – was als erster Datenpunkt verwendet werden kann. 2019 könnte NW knapp GBP180m Umsatz liefern und dabei ca. GBP10m EBIT generieren. Darin stecken laut Majestic GBP20m an Wachstumsinvestitionen. Wenn wir dieser Aussage nur zu 50% glauben, kommen wir damit auf ein adjustiertes EBIT von GBP20m. Das Geschäft hat damit also eine Marge von ca. 11% und wächst mit 10-15% per annum. Hawesko, der Eigentümer des deutschen Jacques‘ Weindepot, handelt beim 15-fachen des in 2019 zu erwartenden EBIT. Hawesko hat auf Gruppenebene eine wesentlich geringere EBIT Marge um 6% und wächst mit ca. 5%. Auch wenn wir NW als zukunftstauglicher halten, bietet dies einen weiteren Ankerpunkt.
Der äußerst konservative Bewertungsansatz für die Gruppe, beinhaltet also die folgenden Sicherheitspuffer:
- Nur GBP80m Wert für MR
- Wir verwenden den gleichen Umsatzmultiplikator für NW, wie bei der Übernahme im Jahr 2015 und ignorieren die Tatsache, dass das Geschäftsmodell kritische Masse erreicht hat und Skaleneffekte generiert.
- Wir ignorieren die beiden anderen Geschäftsbereiche Commercial und Lay & Wheeler, für die man sicherlich auch noch etwas erlösen könnte (vielleicht GBP10-15m)
Das liefert einen Eigenkapitalwert von knapp GBP3,00 pro Aktie (Aktienpreis heute: ca. GBP2,63)
Das Entfernen der Sicherheitspuffer hingegen ergibt einen Wert je Aktie von GBP7,50.
Warum handelt Majestic so niedrig? Wir glauben, dass allein die Tatsache, dass der Gruppenname identisch mit den stationären Geschäften ist, schon viele potenzielle Anleger abschreckt. Darüber hinaus sind die Zeitreihen zur Profitabilität nicht sehr einfach zu lesen und verschleiern den Wert der Gruppe. Wer dann vielleicht doch näher reinschaut und sieht, dass NW gar nicht so stark wächst wie die meisten E-commerce Geschäfte, wird spätestens dann enttäuscht das Buch zuklappen. Zu guter Letzt glauben wir, dass auch Majestic der undifferenzierte Abverkauf von kleineren UK Aktien getroffen hat. All das führte dazu, dass die Aktie von Höchstständen um GBP4,70 auf zeitweise GBP2,20 korrigierte.
Es sieht wohl so aus, als müsse man diese Firma einfach ein wenig atmen lassen. Die Nase verspricht schon mal Großes.
[1] Es bestehen noch zwei weitere Geschäftsbereiche, welche wir im Sinne der Kompaktheit nicht besprechen. Dabei handelt es sich um Weingroßhandel („Commercial“) und einen Weingroßhandel/Beratungsbereich für Catering und Events („Lay & Wheeler“). Beide Bereiche stagnieren Umsatzseitig und sind leicht profitabel / tragen sich selbst.
[2] 2019 H1: 14% Umsatzwachstum bei NW. Nach Ländern: UK 6,9%, USA 19,3%, Australien 18,6%
[3] Quelle: S&P CapitalIQ
[4] https://otp.investis.com/clients/uk/majestic_wine/rns/regulatory-story.aspx?cid=1391&newsid=1242384
[5] https://news.sky.com/story/former-comet-owner-wants-to-toast-100m-majestic-wines-deal-11724788
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